Ich weiß, es klingt einfach und oft bekomme ich zu hören: „Deine Gedanken formen deine Realität.“ Oder „Du bist was du denkst“. Aber wie oft nimmt man diese Aussagen an? Denn was heißt das schon? Wie formen denn meine Gedanken meine Realität und was soll das für Auswirkungen auf mein Leben haben? Können Gedanken denn wirklich in mein Leben eingreifen? Bestimmt nicht so leicht, dachte ich. Doch ich musste auf dem Jakobsweg erfahren, dass alles doch ein bisschen komplizierter zu sein scheint. Oder eben viel einfacher. Wie man es nimmt!
Dazu eine Anekdote meines letzten Jakobsweges, es ist meine Lieblingsgeschichte von meinem Jakobsweg 2017:
Kurz hinter Burgos lernte ich auf dem Jakobsweg einen jungen Italiener kennen, er war etwa in meinem Alter und wir dachten, dass wir uns kennen würden. Ich dachte ich kenne ihn aus Logroño und er dachte wir kennen uns aus Najera.
Jedenfalls kannten wir uns nicht, aber wie es auf dem Jakobsweg ist, dauerte es nicht lange, bis wir uns unterhielten. Es waren wunderbare Gespräche!
Und auch die nächsten Tage begegneten wir uns immer mal wieder. Morgens sah man sich und plauderte, dann irgendwann am Mittag traf man sich durch Zufall in einem Café und so weiter. Wirkliche Verabredungen gab es auf dem Pilgerweg nie, da der Zufall uns ja alle zusammenführte.
Das Schöne war, dass Antonio und ich sehr viele gemeinsame Parallelen in unseren Leben hatten und uns auf Anhieb richtig gut verstanden. Einige Tage später lief ich mit Chechu aus Spanien und dem jungen Brasilianer Leo, es war kurz hinter Sahagún und ich sah den netten Italiener den ganzen Tag nicht. Da wir die vorherigen Tage solch guten und intensiven Gespräche geführt hatten, fragte ich ein paar Pilger, ob sie Antonio gesehen hätten, aber keiner hatte ihn gesehen.
Eine junge Engländerin erzählte mir, dass er an der Weggabelung wohl den anderen Weg genommen habe (hinter Sahagún gibt es eine Trennung) und erst nach 2 Tagen wieder auf den gemeinsamen Streckenabschnitt treffen würde. Gerade an diesem Tag unterhielten meine Pilgerfreunde und ich uns über die Kraft der Gedanken. Viele von ihnen waren der Ansicht, dass unsere Gedanken unseren Alltag und auch unsere Umwelt beeinflussen würden. Ich wusste nicht recht, was ich davon hielt.
Ein Spanier mittleren Alters war sogar davon überzeugt, dass man mit Gedanken Verabredungen treffen könne und auch Bestellungen aufgeben kann.
Nun gut, dachte ich. Wenn alles so einfach ist, dann denke ich jetzt mal an den Italiener und verabrede ein Treffen mit ihm nur mit meinen Gedanken. Ich setzte mich in der Pilgerherberge auf mein kleines Herbergsbett und dachte: „Hi Antonio, ich weiß nicht genau ob du mich hören kannst. Es ist verrückt, was ich mache. Aber lass und doch morgen in Reliegos treffen. Also um 14Uhr in Reliegos im ersten Café im Dorf“. Denn in Reliegos sollten beide Wege wieder zusammen treffen. Ich dachte also an die Verabredung und daran, was der ältere Spanier mir gesagt hatte und obwohl ich es ein bisschen komisch fand, dachte ich den Gedanken zu Ende und „schickte“ ihn ab. Kaum hatte ich den Gedanken „abgeschickt“ hatte ich ihn auch schon wieder vergessen.
Meine Pilgerfreunde und ich genossen ein sehr schönes gemeinsames Essen in der Herberge (vielen Dank liebe Herbergsväter aus Bercianos del Real Camino).
Morgens machten der Brasilianer Leo und ich uns auf den Weg. Leider waren an diesem Tag die Schilder (gelbe Pfeile) auf dem Weg nicht gut oder Leo und ich verquatschten uns, denn wir kamen vom Weg ab und in ein kleines Dorf mit einer schrulligen alten Dame (Leo, você se lembra?). Sie lenkte uns Querfeld ein zurück auf den Weg und wir mussten einen Umweg von etwa zwei Stunden in Kauf nehmen. Dann fing es plötzlich auch noch an zu regnen. Zum Glück waren nach einer Weile kleine Häuser in Sicht und wir rannten in ein kleines Café am Ortsanfang.
Es war das Dorf Reliegos.
Kaum dort angekommen, bestellten wir uns ein Kaffee. Plötzlich schaute ich aus dem Fenster und rief „Dort ist Antonio, schau mal!“.
Ich machte die Tür auf, der Regen prasselte. Antonio, der Italiener kam auf uns zu und setzte sich zu uns. Er sei im Dorf nochmals umgekehrt und suche in diesem Café seine Pilgergruppe. Ich schaute auf die Uhr.
Es war, wirklich, wirklich 14:02.
Ich begann zu zittern und mir wurde schlecht. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass wir in Reliegos waren und dann auch noch in dem ersten Café?! Aber das konnte doch nur Zufall sein? Als ich Antonio, davon berichtete und ihn fragte ob er irgendwie wüsste, dass wir heute eine „Verabredung“ hätten, schaute er mich komisch an und dachte ich sei eine Spinnerin (wer sollte es ihm verübeln?). Er wird es nie zugeben, aber allein sein Blick sprach Bände ;). Trotzdem war er froh, auch uns wiederzusehen und wir liefen alle ein Stück gemeinsam. Es war komisch, dass er wirklich genau um die Uhrzeit, genau in dem Café, genau nachdem wir uns verlaufen hatten und viel viel später als geplant noch unterwegs waren, dort, im Café, gewesen war.
Aber wie es so war, verlor man sich wieder und am nächsten Tag ging es mit meiner liebgewonnenen Pilger-Familie weiter nach León. Den Italiener sah ich nicht, aber ich wusste, dass er ein wenig verschreckt war vom Tag zuvor. Ich meine, wenn jemand zu mir sagen würde: „Schön, dass du hier bist, wir hatten eine imaginäre Verabredung und du bist pünktlich“, würde ich auch denken mein Gegenüber sei „Plemplem“.
Als wir nach einem schönen, aber anstrengendem Pilger-Marsch in León endlich in einer kleiner Pilgerherberge ankamen, richteten wir unsere Betten ein und die anderen wollten sich erstmal duschen und anschließend etwas essen gehen.
„Möchtest du auch etwas essen, Carolina“, fragte mich eine Koreanerin, die in der Küche etwas zu bereitete.
„Hey, Carolina, ich ruhe mich kurz aus und dann können wir uns die Stadt angucken“, sagte der Brasilianer. Und was machte ich?
Ich lehnte ab, irgendwie war mir nicht danach.
Ich nahm meinen Stadtrucksack, sagte allen ich würde kurz spazieren gehen und machte mich auf den Weg. Ich weiß bis heute nicht wieso. Ich hatte Hunger, war verschwitzt und müde.Aber meine Füße liefen. León ist eine wirklich große Stadt, müsst ihr wissen. Und ich lief und lief und lief.
Ich wusste selber nicht wohin, aber ich war in Eile.
Wieso wusste ich nicht. Auf einmal stand ich vor der Kathedrale und setzte mich auf eine Bank. Schaute auf mein Handy, es war kurz vor 14Uhr. Die Turmuhr schlug zwei. Ich blickte nach links und sah Antonio. Aber nicht nur den „normalen“ Antonio, sondern einen total kreischenden und schreienden A.
„Carolina, what are you doing here? That can´t be. Why are you here? This is crazy, this is crazy, ….“. Er war so laut, dass einige Leute von den Bänken aufstanden und den Platz verließen. Ich schaute verdutzt. Was war los? A sagte: „Carolina, I made a „mind-appointment“. I made the appointment that we will meet here at the Cathedral at 14:00 in León. In the morning I took a bus to León, to make sure, that we wouldn´t see each other before this „appointment“. I just wanted to see if you are totally crazy – or if „mind-appointments“ can work? ….“.
Er hatte also einen Abend vorher, kurz nachdem ich ihm die verrückte Geschichte erzählte, dass wir eine „Verabredung“ hatten und er „Kraft seiner Gedanken“ sie befolgt habe, eine neue Verabredung mit mir gemacht. Letztes Mal ich, dieses Mal er. Wir saßen nun nebeneinander auf der Bank und wussten nicht ob wir lachen oder weinen sollten. Wir waren sprachlos. Jakobsweg-Zauber?! Doch eines wussten wir, nämlich dass wir keine „Mind-Appointments“ mehr machen würden. Denn zweimal könnten diese Art „Zufälle“ noch Zufall sein, aber ab einem dritten Mal, würden wir bestimmt für verrückt erklärt werden.
Alles Zufall?
Ich weiß es nicht. Dies ist aber tatsächlich genauso passiert. Da A. morgens seinen Pilgerfreunden erzählte, dass er später, um 14Uhr, eine Verabredung mit mir in León vor der Kathedrale habe und deswegen schnell noch ein bisschen Vesper kaufen würde, haben wir auch Zeugen.
Es ist wirklich so passiert.
Warum wissen wir nicht.
Wer weiß?
Hier geht´s zu: Über die Magie des Weges Teil I 🙂
Das ist eine wirklich wundervolle Camino-Geschichte! Und es war bestimmt ein besonderer Moment für euch. Oft denkt man an Menschen und hat das Gefühl es würde „synchronisieren“. Letztes dachten wir zum Beispiel an Marcus und kaum danach lief er uns in der Stadt über den Weg :).
Wir finden deinen Blog toll und dass du bereits in jungen Jahren diese schönen „Jakobsweg-Erfahrungen“ machen kannst!
Wir grüßen dich aus Wernigerode
Tina und Herbert
Ja, das war er wirklich! Liebe Grüße nach Wernigerode und schreibt mir, wenn ihr wieder auf dem Jakobsweg unterwegs seid :).
Probiere mal einen Gedanken abzusenden, wenn du in einer großen Kathedrale bist, direkt am Altar zum Beispiel. But be careful! 😉
Hahaha, das werde ich mal machen 😉
Schöne Geschichte! Macht uns echt gerade Lust wieder auf dem Jakobsweg zu wandern. Wir beneiden dich! Liebe Grüße, Flo
Danke Flo! 🙂
Ich folge übrigens auch deinem Blog, nur dass du Bescheid weißt! Nächste Woche geht´s los? Jedenfalls viel Spaß, Abenteurerin! Freue mich, wenn du wieder da bist.
Jannes
Sehr schön 🙂 Wir sehen uns!
Die Geschichte ist immer wieder wunderschön.
Ich wünsche dir eine wunderbare Zeit auf dem Jakobsweg und viele weitere bereichernde Erfahrungen. Werde hier weiter mitlesen. <3
Liebe Grüße, Laura
Meine Liebe,
vielen lieben Dank! Und ich freue mich schon sehr auf unsere „Sonne, Strand und Meer“-Zeit im August <3.
Alles Liebe
Deine Carolina
Hallo Caro,
eine wirklich tolle Tour die du gerade machst mit z. T. sehr langen anspruchsvollen Tagesetappen.
Es macht uns Spaß auf diese Weise alles mit verfolgen zu können.
Für den Rest deines Weges wünschen wir dir unauslöschliche Erlebnisse, viele interessante Begegnungen, gutes Wetter und das notwendige Quentchen Glück.
4xjk
PS: Vielleicht im Herbst 2019 im Himalaya?
Hallo ihr lieben 4 1/2 JKs,
freue mich sehr, dass ihr hier vorbeischaut und 2019 Himalaya wäre natürlich genial! Ich drücke euch aus Spanien!
Eure Carolina
Sehr schöne Geschichte – hoffentlich passiert sowas auch öfter im Alltag =)