Es gibt so viele Pilger, die von ihrer Reise zurückkehren und unter anderem davon berichten, dass sie sich auf dem Camino keine Sorgen machen mussten, denn der Camino „habe für sie gesorgt“. Doch was genau meinen sie denn alle damit?
Dazu eine Anekdote von meiner letzten Reise auf dem Camino:
Auf meinem letzten Jakobsweg habe ich die Erfahrung gemacht, dass alles seinen Weg findet. Es war morgens um halb sechs in Ponferrada (etwa der zwanzigste Tag meiner Reise) und ich hatte keinen Schlaf gefunden, denn die letzten Jahre waren voller solcher Emotionalität, wir hatten gelacht und geweint, meine Gruppe hatte sich getrennt und wiedergefunden – ich hatte Menschen getroffen, die mich mit ihren Geschichten sehr berührt hatten, es ging um Krankheiten, Verluste, Freundschaft und Liebe. Als ich entschloss früh aufzubrechen und meinen Rucksack zusammenpackte, viel mir auf, dass meine Regenjacke verschwunden war. Ein Blick aus dem Fenster bestätigte meine innere Furcht; es regnete in Strömen. Ich schaute im Aufenthaltsraum nach und fand sie nicht, fragte einige Pilgern die schon wach waren und auch die Hospitaleros, doch alle hatten keine Ahnung, wo sie sein könnte. Und auf einmal dachte ich; ok, ich höre auf, dies ist das Ende meines Jakobsweges. Ich möchte nicht weiter – ich kann nicht weiter. Ponferrada ist eine große Stadt, es wird einen Bus nach Madrid geben und ich bin am Ende meiner Kräfte. Ich saß im Aufenthaltsraum der Herberge und begann zu weinen. Vielleicht versteht mich hier der eine oder andere Pilger, warum der Verlust einer Regenjacke zu solchen emotionalen Ausbrüchen führen kann., es ist einfach das Gefühl, dass du den Weg nicht mehr im Griff hast, sondern der Weg dich. Ich begann also im Internet nach Busverbindungen zu suchen und meine Reise zurück nach Madrid zu planen, als auf einmal die Tür der Albergue aufging und eine etwas ältere Frau mit Pilgerrucksack hinein trat uns zu mir auf Spanisch sagte: „Ich habe deine Jacke vor 25km gefunden und möchte, dass du sie nimmt und deinen Weg weiter nach Santiago gehst“.
Uffff. Das saß. Es war um kurz vor sechs Uhr morgens. Nur wenige Pilger waren überhaupt wach und Ponferrada war eine wirklich große Stadt mit zahlreichen Alberguen. Was machte diese Frau hier? Warum kam sie genau um diese Zeit in unsere Herberge? Und warum hat sie genau das zu mir gesagt, was sie gesagt hatte? Ich weiß es nicht. Und auch die Pilgerin wusste es nicht, sie hatte einfach das Gefühl gehabt, in diese Herberge kommen zu müssen. Natürlich kann es Zufall sein, doch viele Zufälle dieser Art auf dem Jakobsweg zeigten mir, dass der Camino für mich sorgte. Ich setzte meinen Weg fort und wurde Tage später noch von vorher unbekannten Pilgern gefragt, ob ich das Mädchen mit der gefundenen Regenjacke sei.
Definitiv ist meine Geschichten nicht die einzige dieser Art, es gibt unglaublich viele Geschichten, so wie zum Beispiel von Taxen, die aus dem Nichts mitten im Wald erschienen, wenn ein Pilger an den Enden seiner Kräfte war, von Wanderstöcken, die am Wegrand stehen, wenn man seine eigenen verloren hat, es ist die Einladung zum Abendessen, wenn man am Ende seiner Kräfte in eine Herberge kommt und jemand dort anbieten, doch bitte mitzuessen. Es sind mal kleine oder auch große Geschichten. Mal ist es die Regenjacke, mal der gefundene Schlüssel. Eine andere Pilgerin erzählte mir, dass sie ohne Wasser gestartet sei und in der Meseta von einem Pilger eine Flasche geschenkt bekam.
Der Weg gibt dir, was du brauchst
Dies gehört zur Magie des Weges. Nämlich das Wissen nicht alleine zu sein und dass der Weg weiter geht. Dass man sich nicht sorgen muss, da sehr oft für einen gesorgt wird. Es sind die Pilger untereinander, die als große Gemeinschaft sich gegenseitig stützen, es sind Begegnungen, es sind kleine Weggaben, es sind Geschichten, die von ähnlichen Lebenssituationen handeln, Ideen und Inspirationen und es ist die helfende Hand, die dafür sorgt, den Zauber des Weges weiterzutragen.
Falls ihr auch eine schöne Erfahrung dieser Art gesammelt hat oder gehört habt, würde ich mich freuen davon zu hören, entweder per Mail oder hier in den Kommentaren.
Ultreia!
Hier geht´s zu Über die Magie des Weges Teil II 🙂
Hallo Liebe Carolina.
Ich bin beeindrückend von deine Reise. Ich plan auch eine Reise nach El Camino, ich habe das Gefühl, ich muss unbedingt dort hingehen. Ich weiß nicht woher dieses Gefühl kommt. Ich möchte nächstes Jahr April los starten, jedoch habe ich eine Frage, ich kann ungarisch ( muttersprache) und Deutsch, ich spreche leider keine Englisch oder spanisch, was meinst du bekomme ich Schwierigkeiten wegen dem fehlenden Sprachen? Bzw, kann ich so auch mit anderen Freundschaften schliessen? Ich meine wenn Mann Abend essen möchte mit anderen aber dann sitzt man da und kann nur Deutsch und Ungarisch. Meine email adresse ist: (E-Mail verborgen)
Ich würde mich freuen über deine Antwort. Liebe Grüße
Hallo liebe Ramona,
vielen Dank für deinen lieben Kommentar :). Ich denke dass du genug Leute kennen lernen wirst, die Deutsch oder Ungarisch sprechen und vielleicht wirst du sogar noch mehr Freundschaften mit Menschen schließen, die eine ganz andere Sprache als deine sprechen. Ich erinnere mich daran, dass ich 2017 ein paar Tage mit Jacques gewandert bin, der nur Französisch sprach (was ich nicht kann) und trotzdem haben wir uns unglaublich gut verstanden und viel gelacht. Wenn du offen bist, wirst du, da bin ich mir sicher, eine wunderbare Zeit auf dem Camino haben und wahnsinnig tolle Menschen kennen lernen.
Herzliche Grüße, Carolina
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